Login
Als ich ungefähr sechs Jahre alt war, schenkte mir eine wenig geliebte Tante ein Kinderbuch, bei dem es um eine besonders kluge Henne ging. Die bewohnte ein Häuschen mit Garten und nutzte im Frühling kühles Wetter, um den Frühjahrsputz anzugehen und die Beete im Garten auf Vordermann zu bringen. Als das Wetter dann schön wurde, hatte sie schon alles erledigt und konnte sich ein Picknick gönnen.
Leider allein, weil die Nachbarinnen und Nachbarn (eine Ente, ein Eichhörnchen und ein Frosch, wenn ich mich richtig erinnere) nicht so klug wie sie rechtzeitig aufgeräumt hatten und nun schwer beschäftigt waren mit Fensterputzen und Unkrautjäten.
Ich gehe davon aus, die Tante wollte mich damals mit ihrem Geschenk darauf hinweisen, wie klug es ist, putz- und gartentechnisch der Zeit voraus zu sein. Das gute Wetter, so es denn kommt, ließe sich dann zur Entspannung nutzen. Bestimmt ein richtiger Hinweis, auch wenn mir die Idee, allein zu picknicken, weil die anderen noch keine Zeit für solche Vergnügungen haben, nur mäßig überzeugend erschien. Die Henne schien es allerdings zu genießen, dass die Nachbarn neidisch guckten. Na ja.
Sie ahnen es, ich habe mir die kluge Henne nicht so recht zum Vorbild genommen. Und so musste ich jetzt, als mein sonniger Balkon am Pfingstwochenende zum Draußensitzen einlud (unter 20 Grad Celsius Außentemperatur tue ich es nicht), erst einmal aufräumen und allerlei Überreste des Winters beseitigen. Das hat mich tatsächlich einige Freizeit gekostet und auch den Rücken stark beansprucht.
Zeit für ein Picknick auf dem Balkon ist mir aber trotzdem geblieben. Sie glauben gar nicht, wie gut eine Portion Eis mit frischen Erdbeeren schmeckt, wenn man zuvor fleißig gewuppt hat. Allein genießen musste ich den Imbiss auch nicht. Also ätsch, Tante und Henne: Ihr könnt mir gestohlen bleiben. Aber der Sommer, der darf nun tatsächlich kommen.
Der KZW-Newsletter 
