Es ist laut und voll, als ich mich durch eine Schlange aus Holtschentänzern in die Gaststätte „Zur Traube“ quetsche. Am Tisch sitzen Philipp Meyer, Daniel Zauritz, Niklas Hencken und Henning Umlauf in blauen Seemannspullovern, Troyer, und Elbsegler-Mützen auf dem Kopf. Die Organisatoren verkaufen die begehrten Tickets für das Festzelt. Auch ich bekomme ein Bändchen und - noch viel wichtiger - Holzschuhe, mein Paar „Holtschen“, mit denen ich später mittanzen darf. Sie sind weiß, hinten offen, deshalb nennt man sie Pantinen und viel leichter an den Füßen, als sie aussehen.
„Wir laufen gleich los, machen an der ersten Station Stopp und tanzen da als Paar zusammen“, erklärt mir Philipp Meyer. Er muss mit lauter Stimme sprechen, damit ich ihn in der vollen Gaststätte verstehe. Um uns herum wird bereits der erste Korn ausgeschenkt, Sprüche geklopft und viel gelacht. Mein Blick fällt auf die Mütze von Niklas Hencken, die mit Buttons übersät ist. „Die verteilen wir jedes Jahr“, erklärt Philipp. „An der Straße das neue Schild, Holtschentanz, das wird wild“ steht auf dem diesjährigen Exemplar.
Tradition wird von vielen ernst genommen
Nachdem alle Tickets verkauft sind, geht es endlich los. „Aufstellen“, brüllt Philipp draußen vor der Gaststätte. Die rund 100 Paare stellen sich in eine Reihe. Allein stehe ich etwas unsicher dazwischen. „Du brauchst einen Partner“, wird mir von einer jungen Frau mit blonden Zöpfen erklärt. „Früher musste der aus Neuenwalde kommen. Heute dürfen Männer und Frauen von außerhalb mitmachen. Aber du musst mindestens 16 Jahre alt und unverheiratet sein.“ Sie scheint die Tradition sehr ernst zu nehmen. Verunsichert gehe ich an den Rand. Dann setzten sich die Paare in Bewegung. Vorneweg läuft der Musikzug Burgdorf Ovelgönne, der mit seiner Blasmusik die Schnelligkeit und den Takt vorgibt.
Cuxland
Wie fühlt man sich als Holtschentänzer?
Unsere Reporterin Leandra Hanke hat auf dem Herbstmarkt in Neuenwalde einen Selbstversuch gewagt. Sie ist für uns in die Holzschuhe geschlüpft, die so typisch sind für die Traditionsveranstaltung.
21.10.2023
Das Klackern der Holtschen ist auf der nassen Straße zu hören. Die Frauen haben Röcke an, darüber sind Schürzen gebunden. An den Füßen tragen sie warme Wollsocken. An der ersten Station holt mich Philipp in die Menge als der Tanz beginnt. Mit den Holtschen an den Füßen schunkeln wir von rechts nach links oder tanzen Discofox. Hier und da rempeln wir aus Versehen andere Paare an, das scheint hier aber niemanden zu stören. Ich versuche beim Tanzen meine Holzschuhe nicht zu verlieren. Dann setzt sich der Zug wieder in Bewegung.
Viele begeisterte Zuschauer im Dorf
Am Straßenrand stehen zahlreiche Menschen, Freunde, Familie, Verwandte. Sie filmen und fotografieren, wie die Jugend Arm in Arm oder Hand in Hand durch das Dorf zieht. Auch stehen Zuschauer mit Schnaps auf Tabletts bereit, die sie an die Paare verteilen. Vor mir entdecke ich den wahrscheinlich jüngsten Holtschentänzer. Der Sohn von Organisator Niklas Hencken. Friedrich ist drei Jahre alt und trägt ebenfalls einen Troyer und eine kleine Elbsegler Mütze.
Beim zweiten Stopp schunkele ich Arm in Arm zwischen Manuel und Wenke. „Du darfst deine Holzschuhe zwischendurch nicht ausziehen“, rät mir Wenke. „Sonst merkst du, wie deine Füße wehtun.“ Meine Füße sind inzwischen schon warm geworden. Die Sonne hat die dunklen Regenwolken abgelöst und es riecht nach Heu. An der Scheune angekommen, gibt es erstmal eine Pause, mit Hühnersuppe.
Spendensammeln gehört mit zur Tradition
Jan Niklas von Holten, der Johnny genannt wird, läuft mit einer Schultertrage durch die Menge. Er heute der „Steebelholtschenträger“, der den Festzug anführt. An der Trage hängen links und rechts zwei schwarze, alte Torfstiefel, in denen sich einige Geldscheine sammeln. „Aber da ist noch jede Menge Platz“, sagt Johnny mit einem Augenzwinkern. Ich will wissen, ob die Trage schwer ist. Prompt habe ich sie auch schon auf den Schultern. Sie ist tatsächlich viel leichter als gedacht. Das Geld sammelt Johnny bzw. die Organisatoren für die Ausgaben des Holtschentanz, wie für die Feuerwehr, den Musikzug und für Projekte, die dem Ort zugutekommen.
Kurz vor dem Höhepunkt des Umzugs, dem Einmarsch ins Festzelt, wird die Stimmung immer ausgelassener. Gut gelaunt ist auch Jette. Die 16-Jährige ist das erste Mal mit dabei. „Es macht einfach Spaß“, sagt sie. Jette habe sich zwar zuerst an das besondere Outfit gewöhnen müssen. „Aber wenn es alle tragen, fühlt man sich nicht mehr komisch.“
Verschiedene Generationen feiern gemeinsam
„Es ist toll, dass sich die Jugend dafür immer noch begeistern kann“, sagt Klaus Beyertt, der an einem Tisch weiter hinten mit Heini und Gerhard Kleinhammer und Walter Itjen steht. „Beim allerersten Holtschentanz, 1965, waren wir vielleicht 11 Paare. Da war nichts abgesprochen, ganz spontan“, erinnert sich Heini Kleinhammer. Schon damals tanzten sie in den dicken Wollpullover, die handgefertigten Holtschen und mit Elbsegler Mütze. „Das hat man hier eben an der Küste so getragen.“
Dann kommt das große Finale. „Komm, reih dich ein“, wird mir zugerufen - nun spielt es keine Rolle mehr, dass ich keinen Partner habe. So laut wir können, stampfen wir beim Eintreten in das Festzelt auf den Boden. Die Holzbretter im Zelt vibrieren unter meinen Füßen. Der Musikzug spielt „Bella ciao“ und wir tanzen und springen so viel wie möglich. Dann der Applaus. Der Musikzug wird nahtlos von den „Gaudifranken“ abgelöst. Ich schaue in freudestrahlende Gesichter, die mich sehr herzlich verabschieden. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Dennoch bin ich froh, als ich die Holtschen von meinen Füßen streife und in meine Sneaker schlüpfe.