Zeven Spartipps

Im Reparaturcafé schenken sie Dingen ein zweites Leben

Als Stachel im Fleisch der Wegwerfgesellschaft sehen sich die 27 Ehrenamtlichen, die im Reparaturcafé auf dem Ehmken Hoff in Dörverden seit 2018 wieder flottmachen, was seinen Dienst versagt. Mehr als 1.000 Dinge haben sie vor der Mülltonne bewahrt.

Hartmut Okrongli ist zuversichtlich, den defekten Laubbläser wieder flott zu kriegen.

Hartmut Okrongli ist zuversichtlich, den defekten Laubbläser wieder flottzukriegen. Das Gerät kann noch einige Jahre seinen Dienst tun. Foto: Kratzmann

Was Kindern heute das Handy ist, das war mir vor einem halben Jahrhundert der Schraubenzieher, der im Fachjargon ja Schraubendreher heißt. Mit Begeisterung habe ich mich mit dem Werkzeug in der Hand auf Erkundungsreise begeben, wann immer ich an meinem Spielzeug eine Schraube entdeckte. Manche Stunde war ich darin vertieft, zu zerlegen und zusammenzusetzen. Ich erinnere mich an das Gefühl der Befriedigung, wenn am Ende der Prozedur kein Einzelteil übrig geblieben war.

Und ich bekenne, es reizt mich nach wie vor, die Werkzeugkiste aus dem Schuppen zu holen, wenn ich meine, abschätzen zu können, dass sich der Aufwand lohnt, um das Leben dessen zu verlängern, was zu Hause einer Reparatur bedarf. Damit dürfte ich dem Klischee entsprechen, was Frauen als Männerbild vor Augen haben: Jungs werden sieben Jahre und dann wachsen sie nur noch.

Ausschließlich Männer schrauben, löten, verdrahten in der Scheune

Wie dem auch sei - im Reparaturcafé, das in einer ehemaligen Querdurchfahrtscheune auf dem Kulturgut Ehmken Hoff in Dörverden untergebracht ist, treffe ich ausschließlich auf meinesgleichen. Einer macht sich an einem Damenrad zu schaffen, einer schraubt an einem Laubbläser herum, einer sitzt am Tisch und lötet am offenen Herzen eines kleinen Weltempfängers, einer wühlt in einer transparenten Plastikkiste, zwei nehmen mich in Empfang - Jürgen Knocke und Bodo Nolden.

Das Duo hat das Werden des Kulturgutes Ehmken Hoff am südlichen Rand Dörverdens aktiv begleitet. 2008 hatten die Eigentümer der aus Dörverden stammenden Gleisbaufirma H.F. Wiebe eine Stiftung gegründet, die den Aufbau des Kulturgutes maßgeblich finanzierte. Nach und nach wurden auf einem weitläufigen Grundstück an der Straße in der Worth andernorts abgetragene historische Gebäude errichtet: Zwei Hallenhäuser, eine Scheune, ein Spieker, ein Backhaus, ein Wagenschauer und weitere. Ein Verein, dem heute 500 Mitglieder angehören, nimmt sich der Pflege der Gebäude sowie der Anlagen an und sorgt für Leben auf dem Kulturgut. 20 Arbeitsgruppen sind aktiv.

2017 Anlauf zur Gründung einer Reparatur-AG

Eine Arbeitsgruppe geht auf die Idee Jürgen Knockes zurück. Der gelernte Elektroniker schlug dem Stiftungsrat und Vereinsvorstand Dieter Sprei 2017 vor, eine Reparatur-AG zu gründen. Sprei sei begeistert gewesen. Eine Querdurchfahrtscheune aus der Nachbarschaft wurde auf dem Ehmken Hoff wieder aufgebaut, um dort ein Reparaturcafé einzurichten. Derweil suchte und fand Knocke Mitstreiter. 2018 ging es los.

Heute mühen sich 27 Ehrenamtliche, dem Zeitgeist Widerstand zu leisten. Sie setzen instand, was immer ihre Mitmenschen ihnen anvertrauen: Toaster, Mixer, Küchenmaschine, Kaffeeautomat, Föhn, Staubsauger, Lampe, Gartengerät aller Art, Computer, Nähmaschinen, Drucker, Unterhaltungselektronik, Zwei- oder Dreirad. Auch manches Möbelstück und Kinderspielzeug geben Menschen an der Scheunentür ab.

Meist sind es Angehörige der Generation 60plus. „Die Älteren wissen, dass man Dinge reparieren kann“, merkt Jürgen Knocke trocken an. Jüngere werfen weg und kaufen neu, es sei denn, das Fahrrad versagt seinen Dienst. Ist das der Fall, so wendet sich mancher an die Herrn im Reparaturcafé, denn die machen den Drahtesel gegen eine Spende wieder flott.

75 Prozent der Annahmen gehen repariert zurück

Das gilt für fast alles, was von Bodo Nolden eine Auftragsnummer erhält. Bei ihm laufen die Fäden zusammen. Er organisiert und behält die Übersicht. Ausweislich seiner Statistik liegt die Erfolgsquote der Reparateure bei 75 Prozent. Seit Öffnung des Cafés haben die Arbeitsgruppenmitglieder 1000-mal für ein glückliches Gesicht gesorgt. Anfang April stand der 500. Kunde an der Tür.

Doch nicht alle lenken ihre Schritte auf den Ehmken Hoff, weil sie an ihrem defekten Lieblingsstück hängen. Es sei auch vorgekommen, erzählt Nolden, dass ihnen am Straßenrand aufgelesener Sperrmüll untergejubelt wurde, der nach der Reparatur auf einschlägigen Portalen zum Verlauf angeboten wurde. Nolden kam den Sperrmüllsammlern auf die Schliche, als er im Netz nach Ersatzteilen suchte. Seither nehmen er und seine Mitstreiter keine verschmutzten Geräte mehr an.

Auch wenn ihnen die Freunde daran, egal was zu reparieren, Antrieb ist, ausgenutzt fühlen möchten sie sich nicht.

Schließlich sitzen die Reparateure auch schon mal Stunden an einem „Auftrag“. „Am aufwendigsten ist die Reparatur von Kaffeeautomaten“, weiß Jürgen Knocke. „Und am schnellsten geht es, wenn am Radio der Sender nicht eingestellt ist“, ergänzt Nolden mit einem Grinsen. In einer „Sauerei“ artet es regelmäßig aus, wenn sie einen Tintenstrahldrucker in der Mache haben. Und doch nehmen sich Arbeitsgruppenmitglieder derer an, denn neben dem Spaß am Reparieren verfolgen die spezialisierten Reparateure das Ziel, Stachel im Fleisch der Wegwerfgesellschaft zu sein.

„Ein Mentalitätswechsel ist nötig“

„So lange es Ersatzteile gibt, können Geräte repariert werden“, versichert Knocke. Er hofft, dass sich dafür ein Bewusstsein bei Jüngeren entwickelt. Angesichts des Klimawandels, des beklagenswerten Zustandes der Erde, des Krieges gegen die Ukraine und dessen Folgen, des konsumgetriebenen Raubbaus an der Natur sei ein „Mentalitätswechsel nötig“. Es sei geboten, meint Knocke, „Rohstoffe zu sparen“. Im Reparaturcafé leisten sie einen Beitrag - auch, indem sie beispielsweise ältere Lampen, die an der Scheunentür abgegeben werden, im Zuge der Reparatur auf LED umrüsten, um den Stromverbrauch zu senken.

Und sie bieten an, gemeinsam mit den Eigentümern Hand anzulegen, um ihm oder ihr Hilfe zur Selbsthilfe angedeihen zu lassen. Erfolgversprechend ist derlei Anleitung indes nur, wenn fortan beim Kauf darauf geachtet wird, dass Geräte erkennbar möglichst nicht verklebt, sondern verschraubt sind.

Auch auf Garantiedauer sei zu achten, rät Knocke. Und: „Man muss auch nicht jede Mode mitmachen.“ Wer brauche schon ein elektrisches Messer in der Küche?

Hoffnung darauf, Nachahmer zu finden

In der Region hat sich mittlerweile rumgesprochen, dass Knocke, Nolden und ihre Kollegen dankbar sind, wenn ihnen übereignet wird, was zu Hause über ist. Das dient ihnen als Ersatzteillager oder sie machen es wieder flott, um es auf dem alljährlichen Flohmarkt im Frühling für kleines Geld zu verkaufen. Die Einnahmen fließen in die Kasse des Vereins, der es in das Kulturgut Ehmken Hoff steckt. Und so schließt sich der Kreis.

Zum Abschied verleiht Jürgen Knocke seiner Hoffnung Ausdruck, dass der Artikel über das Reparaturcafé in Dörverden Lesern den Anstoß geben möge, ihm und seinen Mitstreitern nachzueifern. Je mehr repariert wird, desto weniger wird weggeworfen.

www.ehmken-hoff.de

Dass die Ehrenamtlichen in der Scheune finden, wonach sie suchen, mag man kaum glauben. Aber es funktioniert. 

Dass die Ehrenamtlichen in der Scheune finden, wonach sie suchen, mag man kaum glauben. Aber es funktioniert. Foto: Kratzmann

Eine ruhige Hand und ein gutes Auge braucht Peter Jaksch bei der Reparatur des kleinen Weltempfängers.

Eine ruhige Hand und ein gutes Auge braucht Peter Jaksch bei der Reparatur des kleinen Weltempfängers. Foto: Kratzmann

Bodo Nolden

Bodo Nolden: Bei ihm laufen die Fäden des Reparaturcafés zusammen. Er hat den Überblick darüber, was reinkommt und was an die Eigentümer rausgeht. Foto: Kratzmann

Thorsten Kratzmann

Reporter

Thorsten Kratzmann stammt aus Zeven, hat in Göttingen und Hamburg Geschichte, Ethnologie und Politik studiert und ist seit 1994 bei der Zevener Zeitung beschäftigt.

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