Bremerhaven

Ungerechte Abschiebung nach Afghanistan: Bremerhavener kämpft für seine Schwester

Eine Afghanin flieht vor den Taliban. Sie hofft, bei ihrem Bruder in Bremerhaven leben zu können. Doch in Frankfurt wird sie wochenlang auf dem Flughafengelände festgehalten und dann abgeschoben. Wie konnte es dazu kommen?

Wie kam es zum Versagen der Behörden? Reza Nezamedin und seine Schwester wollen die ungerechte Behandlung bei ihrem Einreiseversuch nicht hinnehmen. Sie versucht weiterhin, vor den Taliban nach Bremerhaven zu fliehen. Zu ihrer Sicherheit pixeln wir das Gesicht der Frau.

Wie kam es zum Versagen der Behörden? Reza Nezamedin und seine Schwester wollen die ungerechte Behandlung bei ihrem Einreiseversuch nicht hinnehmen. Sie versucht weiterhin, vor den Taliban nach Bremerhaven zu fliehen. Zu ihrer Sicherheit pixeln wir das Gesicht der Frau.

Nur vier Wochen lang war eine 37-jährige Afghanin in Deutschland - genauer gesagt in Frankfurt. Eigentlich sollte ihre Flucht dort enden. Doch dann kam alles ganz anders. Ihr Bruder Reza Nezamedin erzählt, wie der Tag ihrer Ankunft und die folgenden Wochen verlaufen sein sollen.

Alles beginnt am 20. Februar 2023. An diesem Tag wartet Reza Nezamedin zwischen all den Reisenden am Frankfurter Flughafen, um seine Schwester willkommen zu heißen und nach Bremerhaven zu bringen. In der Stadt wohnt er seit gut zehn Jahren und betreibt die Schneiderei und Wäscherei „Edelweiss“. Auch seine Schwester will in Bremerhaven endlich ein sicheres Leben führen. Doch bis dahin schafft sie es nicht.

Nach Wochen und unzähligen Befragungen durch Polizisten, Anwälte und Mitarbeiter von Migrationsbehörden wird sie am 21. März 2023 in die iranische Hauptstadt Teheran abgeschoben. Dann geht es weiter in die afghanische Hauptstadt Kabul.

Rezas Schwester ist in Gefahr

Seit der Machtübernahme der Taliban am 15. August 2021 haben sich die Lebensumstände in Afghanistan drastisch verschlechtert - vor allem für Frauen. „Man kann sich das kaum vorstellen. Frauen sind für die keine Menschen. Sie dürfen nicht arbeiten, nicht studieren. Es gibt kaum Frauenärzte. Wenn sie alleine auf der Straße sind, fragen die Taliban: ,Wo ist dein Mann?‘“, erzählt Reza Nezamedin mit bebender Stimme.

Reza Nezamedin hat sich ein gutes Leben in Bremerhaven aufgebaut. Er ist Inhaber der Schneiderei und Wäscherei „Edelweiss“. 2011 ist er selbst aus Afghanistan geflüchtet.

Reza Nezamedin hat sich ein gutes Leben in Bremerhaven aufgebaut. Er ist Inhaber der Schneiderei und Wäscherei „Edelweiss“. 2011 ist er selbst aus Afghanistan geflüchtet. Foto: Ralf Masorat

Er sitzt in seinem eigenen Geschäft, neben Nähmaschinen und Anzügen in durchsichtigen Kleidersäcken. Er selbst ist nicht nur in Sicherheit, sondern hat sich in den vergangenen Jahren ein gutes Leben erarbeitet. 2011 war daran noch nicht zu denken. Zu der Zeit macht sich Reza Nezamedin auf den Weg nach Deutschland.

Er ist vier Monate auf der Flucht - Afghanistan, Iran, Türkei, Griechenland, Italien, Frankreich und dann endlich Deutschland. Schon damals versucht er, mit seiner Schwester und seinem Bruder gemeinsam zu flüchten. Doch an der Grenze zum Iran trennen sich ihre Wege. Nur Reza wird von einem Schlepper über die Grenze gebracht. Die beiden anderen kehren zurück und versuchen, in Afghanistan weiterzuleben. Bis Rezas Schwester noch einmal die Flucht wagt.

Sie darf das Flughafengelände nicht verlassen

„An dem Tag, als sie in Frankfurt angekommen ist, habe ich sie stundenlang am Flughafen gesucht. Ich wusste nicht, dass sie festgenommen wurde“, erinnert er sich. Ab diesem Zeitpunkt ist sie einen Monat lang in einer Flüchtlingsunterkunft auf dem Flughafengelände untergebracht. Sie darf den Flughafen nicht verlassen.

Der Grund für das Vorgehen der Bundespolizei liegt im sogenannten Flughafenverfahren. Dabei handelt es sich um ein Verfahren für Flüchtlinge, die über den Luftweg ankommen und keinen gültigen Pass oder einen Pass aus einem sicheren Herkunftsland vorweisen können. Das Asylverfahren wird dann noch vor der offiziellen Einreise auf dem Flughafengelände (im sogenannten Transitbereich) beschleunigt durchgeführt.

Rezas Schwester lebt einen Monat lang in einer Flüchtlingsunterkunft auf dem Frankfurter Flughafen.

Rezas Schwester lebt einen Monat lang in einer Flüchtlingsunterkunft auf dem Frankfurter Flughafen. Foto: Jana Glose/dpa

Rezas Schwester hat bei ihrer Ankunft einen Pass - allerdings den falschen. Statt eines afghanischen Ausweises führt sie einen iranischen Pass mit sich. „Mit einem afghanischen Pass wird man am Flughafen viel mehr kontrolliert. Deshalb hat der Schlepper ihr wahrscheinlich einen iranischen Pass gegeben“, erklärt Reza Nezamedin. „Meine Schwester wusste nicht, dass das hier zum Problem werden könnte.“ Auch die Kopie ihrer Geburtsurkunde und das Angebot des Bruders, einen DNA-Test zu machen, helfen nicht. „Ich habe gesagt, dass ich das selbst bezahle. Ich wollte einfach beweisen, dass sie meine Schwester ist. Aber sie haben mir nicht zugehört“, sagt er.

Immer wieder die gleichen Fragen

In den folgenden Wochen wird sie immer wieder befragt und Reza pendelt immer wieder zwischen Bremerhaven und Frankfurt. „Das war eine ganz schlimme Zeit. Ich arbeite jetzt immer noch Aufträge ab, die deswegen liegen geblieben sind. Meine Schwester ist psychisch sehr belastet durch diese ganzen Befragungen. Und dann war auch noch alles umsonst“, sagt er. Sie wird schließlich alleine in einem Flugzeug und mit drei Polizisten als Begleitung nach Teheran gebracht. „An dem Tag hätte sie eigentlich noch einen Termin beim Amtsgericht gehabt“, erzählt Reza kopfschüttelnd.

Das Flughafenverfahren wird von Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl immer wieder kritisiert: „Zeitdruck, hohe psychische und physische Belastungen, haftähnliche Bedingungen und mangelnder Kontakt zur Außenwelt führen zu gravierenden Nachteilen gegenüber den sonst üblichen Asylverfahren innerhalb Deutschlands.“

Ein Beamter der Bundespolizei kontrolliert Reisende am Flughafen. Wenn jemand keinen gültigen Pass hat und in Deutschland Asyl beantragen will, durchläuft er das sogenannte Flughafenverfahren.

Ein Beamter der Bundespolizei kontrolliert Reisende am Flughafen. Wenn jemand keinen gültigen Pass hat und in Deutschland Asyl beantragen will, durchläuft er das sogenannte Flughafenverfahren. Foto: Christian Charisius/dpa/Symbolbild

Das Bundesinnenministerium (BMI) macht hingegen deutlich, dass bei der Umsetzung keine Fehler gemacht wurden: „Im konkreten Fall wurde durch das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main bestätigt, dass die Voraussetzungen für die Schutzgewährung nicht vorliegen und damit die von der Bundespolizei ausgesprochene Einreiseverweigerung rechtmäßig ist.“

„Die Betroffenen haben die Arbeit der Behörden gemacht.“

Der Flüchtlingsrat Bremen sieht das wiederum völlig anders - insbesondere weil Reza Nezamedin vor Ort war und immer wieder angeboten hat, Beweise für die Verwandtschaft zu erbringen. „Das Bittere an diesem Fall ist, dass diese Frau hätte einreisen können, wenn die Behörden ihren Job gemacht hätten. Aber die Betroffenen haben die Arbeit der Behörden gemacht. Und die Beweise wurden ignoriert“, sagt Nazanin Ghafouri, die beim Flüchtlingsrat unter anderem für die rechtliche Beratung zuständig ist.

Sie ist überzeugt, dass die Geschichte von Reza und seiner Schwester grundsätzliche Probleme in Deutschland sichtbar macht: „Es ist kein Einzelfall, dass Menschen daran gehindert werden, nach Deutschland zu kommen. Das Kernproblem ist eine rassistische Migrationspolitik und systemischer Rassismus in den Behörden. Es werden oft fadenscheinige Argumente gefunden, warum jemand nicht einreisen darf. In diesem Fall kann man das nicht mehr verstecken.“ Diesen Vorwurf weist ein Sprecher des Innenministeriums deutlich zurück.

Rezas Schwester wird am 21. März 2023 in die iranische Hauptstadt Teheran abgeschoben. Dann geht es weiter in die afghanische Hauptstadt Kabul (Foto). Dort regieren die Taliban.

Rezas Schwester wird am 21. März 2023 in die iranische Hauptstadt Teheran abgeschoben. Dann geht es weiter in die afghanische Hauptstadt Kabul (Foto). Dort regieren die Taliban. Foto: Farid Ershad / Unsplash

Ob rassistisch motiviert oder nicht - Fakt ist, Rezas Schwester wurde zurück zu den Taliban geschickt. Obwohl sie das Recht auf Asyl gehabt hätte. Und Fakt ist auch, es hätte neben dem Flughafenverfahren noch andere Wege für sie geben können. Das Bundesaufnahmeprogramm sowie das Landesaufnahmeprogramm von Bremen sollten Flüchtlingen aus Afghanistan helfen, in Deutschland aufgenommen zu werden. Doch bisher sind über beide Programme noch keine Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.

Das lange Warten auf die Hilfsprogramme

Das Bundesaufnahmeprogramm wurde im Oktober 2022 gestartet. „Es konnten bereits mehrere Auswahlrunden initiiert werden“, sagt der Sprecher des Innenministeriums. Doch jetzt wurde es vorübergehend ausgesetzt, weil es Hinweise auf mögliche Missbrauchsversuche gab, erklärt er. Das Landesaufnahmeprogramm für Afghanen ist hingegen auch anderthalb Jahre nach dem Beschluss noch gar nicht in Kraft getreten. „Wir hatten lange auf das Einvernehmen mit dem BMI warten müssen. Nun soll das Landesaufnahmeprogramm voraussichtlich ab 1. Juni starten. Dann haben wir auch das zusätzliche Personal am Start im Migrationsamt“, sagt Rose Gerdts-Schiffler, Sprecherin des Bremer Innensenators.

Für Nazanin Ghafouri ist das eine wenig befriedigende Antwort. „Es konnte nur so weit kommen, weil Bremen sein Versprechen nicht eingehalten hat. Bremen sollte das Landesaufnahmeprogramm jetzt starten und dafür sorgen, dass diese Frau eine der ersten ist, die dadurch nach Bremen kommt“, sagt sie. Die Sprecherin des Bremer Innensenators verweist darauf, dass ein Start ohne das benötigte Zusatzpersonal für niemanden zielführend wäre, weil die Anträge nicht bearbeitet werden könnten.

Währenddessen nimmt die Schwester von Reza Nezamedin ihr Glück erneut selbst in die Hand. Ein Rechtsanwalt hat ihr erklärt, welche Dokumente ihr bei der Einreise helfen werden: Eine Geburtsurkunde, ein Foto von ihr vor einem bekannten afghanischen Gebäude und - wenn möglich - einen afghanischen Pass. „Aber den bekommt man von den Taliban nicht so einfach. Die Taliban wissen, dass Frauen das Land verlassen wollen“, erklärt ihr Bruder. „Gerade habe ich gar keinen Kontakt zu meiner Schwester, aber ich glaube, sie ist auf dem Weg nach Kabul und versucht, die Dokumente zu bekommen.“

Luise Maria Langen

Reporterin

Luise Langen arbeitet seit 2020 als Reporterin für die NORDSEE-ZEITUNG. Von guten Geschichten war die gebürtige Berlinerin aber schon immer begeistert – auch während ihres Germanistik-Studiums in Österreich und der Zeit als Regieassistentin am Stadttheater Bremerhaven.

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